Grenzgänger Zürich
Internierung.Flucht.Idylle
(Research)

In Büren stand von 1940-46 das Schweizer "Concentrationslager" zwecks Internierung polnischer Flüchtlinge einer Freiwilligenarmee. Ab 1942 wurden auch zivile jüdische Flüchtlinge in dem Lager untergebracht. Später wurde es in "Quarantänelager" umgetauft. 70 Jahre später wird in der Schweiz der Ruf nach "Internierungslagern" lauter. Denn die mit ihrer neu erworbenen Freiheit auf einem Flüchtlingstsunami hergeschwemmten Nordafrikaner pfeifen Schweizer Frauen an Bushaltestellen nach und brechen japanische Autos auf. Irgendwo dazwischen kamen die  Ungarn, Tschechoslowaken und Tibeter. Die zu integrieren war kein Problem, aber das waren auch Helden der Freiheit. Nach ihren Projekten "Nico's Love" und "Frollein Rache" gehen die Grenzgänger nun auf Spurensuche auf den Trampelpfaden der Neutralität. Und fragen sich: Welche Ängste, Strukturen und Denkweisen, aber auch welches wirtschaftliche Kalkül führen dazu,  dass Internierungs- und Konzentrationslager gesellschaftlich akzeptiert werden? Und ist mit dem real existierenden Sozialismus nicht nur der Feind und die Alternative, sondern auch  jeder gute Grund zum Flüchten weggefallen?
Vom 20. Oktober bis 16. November residierte Grenzgänger Zürich in der Südbühne der Gessnerallee. Am 15.November fand ein Showing mit anschliessender Diskussion statt.


                         Das ehemalige Waschhaus, letztes Relikt des Concentrationslagers Büren a.A.

AUSEINANDERSETZUNG IM KOLLEKTIV
Sehr rasch wurde uns die enorme Schwierigkeit bewusst, dieses Thema sinnvoll für die Bühne umzusetzen. Das heisst nicht, dass es nicht möglich wäre, aus dem Stoff einen packenden Theaterabend voller Emotionen und spannender Geschichten zu machen. Doch genau das schien uns nicht die richtige Zielsetzung. Die Migrationsproblematik ist so präsent, aktuell und wirkt sich in einem solchen Masse auf das Leben vieler unserer Mitmenschen aus, dass es uns nicht angemessen schien, aus dem Thema ein weiteres Theaterstück von halblinks denkenden Kunstschaffenden für ein halblinks denkendes Theaterpublikum zu machen, bei dem alle ein wenig aufgewühlt werden und sich dann einig sind, dass das schon alles schlimm ist. Schon in  der Planungsphase kamen wir an Grenzen der Sinnhaftigkeit der künstlerischen Umsetzung des Themas Migration. Wir setzten uns ein konkretes und in unseren Augen nur auf den ersten Blick naiv erscheinendes Ziel: Wenn wir das Thema auf die Bühne bringen, dann muss diese Umsetzung mindestens so viel gesellschaftlichen Sinn haben wie wenn wir beispielsweise immigrierten Frauen Deutschunterricht geben. Wir haben uns dann die ersten drei Wochen auf Einzelrecherchen geeinigt. JedeR sollte sich dem Thema auf seine ganz eigene Art nähern, herausfinden was es einem persönlich bedeutet und welchen Teil er/sie ausarbeiten möchte. Zusätzlich trafen wir gemeinsam einen ehemaligen Insassen des Konzentrationslager Büren, Harry Herz, der mittlerweile 90jährig in Zürich lebt und uns sein Leben erzählte. Entstanden sind schliesslich  4 Stückskizzen/Teile/Szenen und daraus in der letzten Woche ein Showing. Hauptziel des Showings war vor allem, eine intensive Publikumsdiskussion auszulösen



DISKUSSION
Das Showing mündete in ein 1,5stündiges, zum Teil sehr emotional geführtes Publikumsgespräch. Zentrale Fragen waren immer wieder:
-Wie kann man mit diesem Thema Theater machen?
-Wann rutscht man dabei in „positiven“ Rassismus?
-Wann verliert die Thematisierung von „positivem“ Rassismus ihre Wirkung durch allzu  grosse Durchschaubarkeit?
-Was kann man dagegen tun?
-Wie kann man mit Theater etwas verändern?
-Wo sind die Grenzen der Sinnhaftigkeit der Selbstreferenzialität?
-Was bedeutet Integration und ist diese überhaupt sinnvoll?
-Gibt es ein Recht auf Migration? Und beinhaltet dieses auch das Recht auf Migration aus wirtschaftlichen Gründen?
-Wie kann man ein anderes Publikum erreichen als dasjenige, welches eh schon denkt wie man selber?
-Muss man auf Rechts- und Linksradikale zugehn und sie zu verstehen versuchen? Wann muss man Emotional und radikal Stellung beziehen?
-Ist es sinnvoll immer über die Radikalen zu sprechen?

 

WIE WEITER
Vorerst wird noch kein „Stück“ aus dem Thema entstehen. Die Frage ob und wie man mit diesem Thema Theater machen kann und was man damit bewirken kann braucht weitere Diskussionen und Arbeit.
Der Wunsch etwas zu verändern oder etwas Sinnvolles zu machen ist zu gross, unsere Zweifel, ob Theater die richtige Form dafür sein kann, sind jedoch weiterhin stark. Ab Sommer wird Nikolai mit Nistiman, einem kurdischen Mitwirkenden des Showings in Zürich, eine Veranstaltungsreihe „Paradise Lost“ verwirklichen. Dies  ist ein Format in dem hier gelandete Menschen ihre Heimat vorstellen können, Filme zeigen, Musik und dadurch Probleme und „Kostbarkeiten“ ihrer Heimat aufzeigen und diskutieren können um so aus der Vereinzelung herauszutreten und im besten Fall Kontakte zu knüpfen und zu sensibilisieren. Diese Veranstaltungsreihe zielt nicht darauf ab, als Theaterinszenierung wahrgenommen zu werden und ist auch nicht zwingend an ein Theaterhaus gebunden.
Daneben begleitet uns das Thema Migration weiterhin und wir halten uns offen, 2014/15 innerhalb eines grösseren Projektzusammenhangs eine adäquate Umsetzung anzustreben.